Kritisierte Helden - Entschuldigte Schurken
Verfasst: 20.04.2024, 12:37
Ein Thema, das mir schon länger im Kopf herumgeht, nicht nur was Kinder- und Jugendbücher angeht, aber besonders auch in diesen seit einiger Zeit häufig erkennbar ist: Die Heldenfiguren werden implizit oder explizit kritisiert, demoralisiert, dekonstruiert, ihnen wird die Grundlage genommen, auf der sie funktionieren, sie werden relativiert und klein gemacht. Demgegenüber werden immer deutlicher "nachvollziehbare Motive" (um nicht zu sagen Entschuldigungen) für die Verbrecher aufgezeigt, so dass oft diese zum Schluss als die eigentlichen Sympathieträger dastehen sollen.
Das bezieht sich sowohl auf die Geschichten selbst, als auch auf die Diskussionen darüber z.B. in Internetforen. Dem "Mythos des Helden" wird zunehmend misstraut, während der Antagonist nie "böse" ist, sondern oft ein Opfer der Umstände und eigentlich doch ein ganz prima Kerl. Das ist eindeutig der Zeitgeist, in dem wir uns seit 10(?) Jahren bewegen, das kann man ganz neutral und wertungsfrei feststellen. Denn es geht nicht um Einzelfälle, sondern es sind wiederkehrende Motive, die immer wieder auftauchen und besonders dort deutlich werden, wo alte Helden von früher heute noch funktionieren sollen, weil eine Serie z.B. über 200 Folgen erreicht hat.
Man kann hier nun verschiedene Standpunkte einnehmen: Ist ein einfaches Gut-Böse-Schema zu simpel? Ist es andersherum nicht genau das, was gerade Kinderbücher eigentlich ausmacht? Wie weit kann man das eine oder das andere jeweils treiben, bevor es zuviel wird? Holzschnittartige Charaktere oder doch effektives Storytelling? Absoluter Realismus oder gesunder Eskapismus in Kinderbüchern? Realität oder Fantasie?
Aber wovon rede ich konkret?
Beispiel: Die drei Fragezeichen. Justus Jonas war lange Zeit die archetypische Heldenfigur. Der kleine Dicke mit ein paar Macken, der gleichzeitig extrem intelligent war und die Verbrecher überlistet hat. Seine Kollegen standen hinter ihm, vertrauten ihm (von gelegentlichen Frotzeleien abgesehen, wie sie unter Freunden eben normal sind) und am Ende stand er als Held da, indem er die Verbrecher überführen konnte. Natürlich mit Hilfe seiner Freunde. Der Archetyp des dicken, intelligenten Jungen kommt auch z.B. bei Enid Blyton vor (Find-Outers/Spürnasen) und auch in anderen Serien. Es ist also etwas, was lange Zeit beliebt und erfolgreich war, heute allerdings anscheinend sehr kritisch gesehen wird.
Denn heute... wo fange ich an? Ich kann die einzelnen Erwähnungen in Podcasts gar nicht mehr zählen, in denen Leute sagten: "Ich hasse Justus Jonas!" "Er geht mir so auf die Nerven!" "Diese elend langen Justus-Monologe immer!" "Er ist so ein Klugscheißer!" "Er ist so unerträglich arrogant!" "Immer weiß er alles!" "Nie weiht er seine Kollegen ein!"
Besonders letzteres ist eigentlich nichts anderes, als ein spannender Storyaufbau, denn wenn Justus die Lösung schon in der Mitte des Buches verraten würde, gäbe es keinen Grund mehr, die zweite Hälfte zu lesen. Es ist eine Schreibtechnik, kein Merkmal von Justus' Arroganz. Nichtsdestotrotz wird es ihm so ausgelegt. Daran sind aber nicht nur die Fans beteiligt; diese Sichtweise hat sich auch unter Autoren durchgesetzt (die ebenfalls einmal Fans waren). Der neue Justus fällt nun oft auf die Nase, wird moralisch, geistig und physisch gedemütigt, redet manchmal wie ein Tölpel daher, macht grobe Fehler, darf nicht mehr der Held sein. Seine Freunde werden genauso behandelt, mit der Ausnahme, dass sie gut dastehen können, wenn sie Justus den Erfolg wegschnappen können. Nur dann. Ansonsten sind sie eher selbst die "problematisierten Helden" mit psychologischen Konflikten. Als Beispiel sei hier die Beziehung Bob/Clarissa Franklin genannt. Der Heldenmythos wird bewusst unterminiert. Nichteinmal das Lösen eines Falles zu aller Zufriedenheit ist noch selbstverständlich; auch hier gibt es öfter eher ein Versagen. In diesem Bereicht tut sich besonders André Marx hervor (das leere Grab, Erbe des Meisterdiebes, Labyrinth der Götter, der Puppenmacher...) Besonders bei ihm, aber nicht nur, gibt es dann auch stets Rechtfertigungen für immer dreistere Vergehen und Verbrechen, so dass am Ende der Verbrecher oft als bedauernswertes Opfer dasteht, das moralisch eigentlich im Recht ist, weil andere viel schlimmer sind und er deswegen ja selbst ein Verbrechen begehen "durfte". Welches dann natürlich nicht von einem "unsympathischen Helden" aufgeklärt werden sollte. Dazu wird dann auch zu allen Mitteln gegriffen, um den Helden ihre Berechtigung zu entziehen. Das Kinderbuch wurde also konzeptuell umgedreht bzw. ins Gegenteil verkehrt.
Beispiel: TKKG. Peter Carsten, genannt Tim/Tarzan. Heute wird seine "Gewaltbereitschaft" vielfach kritisiert. Er ist ein guter Judo-Kämpfer, später kommen noch andere Kampfsportarten hinzu, und er nutzt diese, um sich gegen Verbrecher zu verteidigen. Dabei hat er manchmal provozierende Sprüche auf den Lippen, besonders in späteren Folgen nach den Klassikern. Selbst in Podcasts, die sich mit TKKG beschäftigen, wird er oft dafür kritisiert. Andersherum gibt es einige Leute, die sich Tarzan als Vorbild genommen haben in ihrer Kinderzeit, als zwar unerreichbar perfekte, jedoch bewunderte Positivfigur, der man nacheifern kann. Genau das heute Kritisierte, also seine körperliche Verteidigungsfähigkeit, war nämlich der Aspekt, für den viele Kinder ihn bewundert haben. Auch seine moralischen Überzeugungen bzgl. gut und böse waren ein positiver Maßstab. Zudem wurde die in den Hörspielen durch Verkürzung oftmals etwas drastischer wirkende Gewaltbereitschaft deutlich kontextualisiert bzw. besser erklärt. Tarzan war also kein dumpfer Schläger, sondern eine charakterlich gut ausgearbeitete Figur. Die anscheinend sehr beliebt und erfolgreich war... denn die Serie hat sich sehr lange gehalten. Abseits heutiger kritischer Betrachtungen muss man einfach festhalten, dass Kinder starke Helden, die sich gegen Gangster behaupten können, mögen, dass sie keinerlei Bedenken bzgl. fiktiver "Kloppereien" entwickeln, wie ein Erwachsener und dass auch in einem Western beispielsweise gar nicht genug Bösewichte "abgeknallt" werden konnten, ohne dass jemand darin ein Problem gesehen hat. Sicher mag man das als Erwachsener kritisch hinterfragen... aber Kinder funktionieren so nicht und das ist auch gut so, denn sie sind eben Kinder; die mit Plastikpistolen Peng Peng spielen, den "Indianer" am "Marterpfahl" festbinden und dem Schulhofbully zumindest in einem Buch mal richtig eins auf den Deckel geben wollen. Enter Sozialpädagogik aka Kinder-brauchen-keine Fantasie: Heutzutage würde Tarzan sich eher von einem LKW überfahren lassen, als auch nur einmal die Stimme gegenüber einem Bösewicht zu erheben. Überspitzt formuliert. Welches Kind würde ihm da nacheifern wollen? Für was sollte er irgendein Vorbild sein? Für einen passiven Mann, der sich von allen herumschubsen lässt? Wird hier eine Geschichte erzählt? Oder predigt man Konformität im Gewand der Unterhaltung?
Beispiel: Fünf Freunde. George war stets eigensinnig und erfolgreich damit. Soweit mir bekannt ist, erfolgte innerhalb der Serie selbst auch keine allzu drastische Umdeutung des Charakters in späterer Zeit. Dafür allerdings in der Fanbasis. Georges eigensinniger Abenteuerdrang, durch den Probleme aufgedeckt und gelöst wurden, wird zunehmend kritischer betrachtet und ebenfalls manchmal als persönliches Charaktermanko gesehen. Und wenn dies nicht so ist, wird George, die als klassischer Tomboy angelegt war, zu einer Art Ikone der LGBTQ-Bewegung umgedeutet. Das mag für einzelne Leser ja durchaus einen Reiz haben, nimmt aber die ganze Grundidee der abenteuerlustigen Heldin aus dem Serienkonzept und deutet alles in eine identitätspolitische Selbstfindungsgeschichte um. Wenn man die anderen Serien von Enid Blyton betrachtet, dürfte der Fokus auch bei dieser Serie wohl eher NICHT auf so einem Aspekt gelegen haben. Gleichzeitig wird Anne als Typus der klassischen, unselbstständigen Hausfrau verschrien, der stark aus der Zeit gefallen sein soll. Wir haben hier also eine feministische Agenda als Maßstab einer sehr alten und sehr erfolgreichen Kinderbuchserie. Der gemeinsame Nenner ist wiederum: Die Figuren dürfen nicht mehr sein, was sie ursprünglich einmal waren, da das anscheinend nicht mehr "erträglich" ist. Oder anders gesagt: Die Figuren sind heute ihr eigenes Problem, keine Vorbilder mehr. Ein Julian kommt dabei noch ganz gut weg, weil er sowieso nie ganz im Vordergrund stand. Andererseits werden die "bösen Männer" und die "Schmuggler" heute dann teilweise eher als latent niedliche Randerscheinung betrachtet, denen man ja gar nicht ernsthaft das Handwerk legen muss. Das war zu Enid Blytons Zeiten mit vergifteten Hunden, körperlichen Züchtigungen, und lebensbedrohlichen Situationen durch Schusswaffen oder steigenden Fluten in einem Gefängnis noch ganz anders.
Die Frage ist also: Wollen wir keine Vorbildfiguren mehr? Ertragen wir keine "perfekten" Charaktere mehr, denen wir nacheifern können? Sind "wir" nur die Erwachsenen von heute? Sind Kinder der gleichen Meinung? Oder wären sie mit klassischen Heldenfiguren, wie sie schon seit Jahrtausenden erfolgreich verwendet werden (Homers Odyssee) weiterhin vollkommen zufrieden?
Darf ein Antagonist heute nicht mehr einfach "böse" sein, sondern muss immer ein Opfer seiner Umstände sein, dass man verstehen muss? Darf ein Kinderbuchheld nicht mehr das Recht haben, dem Antagonisten das Handwerk zu legen? Sind das Problem nun stets die Helden selbst?
Die Frage nach dem Zeitgeist taucht wieder auf. Ja, wir befinden uns eindeutig in einer Phase, in der diese Betrachtung aus irgendeinem Grund vorzuherrschen scheint. Wenn man allerdings die Geschichte betrachtet, ist dieser Zustand eine ziemliche Ausnahme. Da er aber aktuell ist, wohl auch "die eine und einzige Wahrheit"
Weg von philosophischen Betrachtungen: Ist euch das auch schonmal aufgefallen? Stört es euch? Habt ihr Beispiele dafür oder dagegen? Glaubt ihr, dass es so weitergehen wird oder dass sich daran wieder etwas ändert?
Mögt ihr Helden und Heldinnen oder nicht?
Das bezieht sich sowohl auf die Geschichten selbst, als auch auf die Diskussionen darüber z.B. in Internetforen. Dem "Mythos des Helden" wird zunehmend misstraut, während der Antagonist nie "böse" ist, sondern oft ein Opfer der Umstände und eigentlich doch ein ganz prima Kerl. Das ist eindeutig der Zeitgeist, in dem wir uns seit 10(?) Jahren bewegen, das kann man ganz neutral und wertungsfrei feststellen. Denn es geht nicht um Einzelfälle, sondern es sind wiederkehrende Motive, die immer wieder auftauchen und besonders dort deutlich werden, wo alte Helden von früher heute noch funktionieren sollen, weil eine Serie z.B. über 200 Folgen erreicht hat.
Man kann hier nun verschiedene Standpunkte einnehmen: Ist ein einfaches Gut-Böse-Schema zu simpel? Ist es andersherum nicht genau das, was gerade Kinderbücher eigentlich ausmacht? Wie weit kann man das eine oder das andere jeweils treiben, bevor es zuviel wird? Holzschnittartige Charaktere oder doch effektives Storytelling? Absoluter Realismus oder gesunder Eskapismus in Kinderbüchern? Realität oder Fantasie?
Aber wovon rede ich konkret?
Beispiel: Die drei Fragezeichen. Justus Jonas war lange Zeit die archetypische Heldenfigur. Der kleine Dicke mit ein paar Macken, der gleichzeitig extrem intelligent war und die Verbrecher überlistet hat. Seine Kollegen standen hinter ihm, vertrauten ihm (von gelegentlichen Frotzeleien abgesehen, wie sie unter Freunden eben normal sind) und am Ende stand er als Held da, indem er die Verbrecher überführen konnte. Natürlich mit Hilfe seiner Freunde. Der Archetyp des dicken, intelligenten Jungen kommt auch z.B. bei Enid Blyton vor (Find-Outers/Spürnasen) und auch in anderen Serien. Es ist also etwas, was lange Zeit beliebt und erfolgreich war, heute allerdings anscheinend sehr kritisch gesehen wird.
Denn heute... wo fange ich an? Ich kann die einzelnen Erwähnungen in Podcasts gar nicht mehr zählen, in denen Leute sagten: "Ich hasse Justus Jonas!" "Er geht mir so auf die Nerven!" "Diese elend langen Justus-Monologe immer!" "Er ist so ein Klugscheißer!" "Er ist so unerträglich arrogant!" "Immer weiß er alles!" "Nie weiht er seine Kollegen ein!"
Besonders letzteres ist eigentlich nichts anderes, als ein spannender Storyaufbau, denn wenn Justus die Lösung schon in der Mitte des Buches verraten würde, gäbe es keinen Grund mehr, die zweite Hälfte zu lesen. Es ist eine Schreibtechnik, kein Merkmal von Justus' Arroganz. Nichtsdestotrotz wird es ihm so ausgelegt. Daran sind aber nicht nur die Fans beteiligt; diese Sichtweise hat sich auch unter Autoren durchgesetzt (die ebenfalls einmal Fans waren). Der neue Justus fällt nun oft auf die Nase, wird moralisch, geistig und physisch gedemütigt, redet manchmal wie ein Tölpel daher, macht grobe Fehler, darf nicht mehr der Held sein. Seine Freunde werden genauso behandelt, mit der Ausnahme, dass sie gut dastehen können, wenn sie Justus den Erfolg wegschnappen können. Nur dann. Ansonsten sind sie eher selbst die "problematisierten Helden" mit psychologischen Konflikten. Als Beispiel sei hier die Beziehung Bob/Clarissa Franklin genannt. Der Heldenmythos wird bewusst unterminiert. Nichteinmal das Lösen eines Falles zu aller Zufriedenheit ist noch selbstverständlich; auch hier gibt es öfter eher ein Versagen. In diesem Bereicht tut sich besonders André Marx hervor (das leere Grab, Erbe des Meisterdiebes, Labyrinth der Götter, der Puppenmacher...) Besonders bei ihm, aber nicht nur, gibt es dann auch stets Rechtfertigungen für immer dreistere Vergehen und Verbrechen, so dass am Ende der Verbrecher oft als bedauernswertes Opfer dasteht, das moralisch eigentlich im Recht ist, weil andere viel schlimmer sind und er deswegen ja selbst ein Verbrechen begehen "durfte". Welches dann natürlich nicht von einem "unsympathischen Helden" aufgeklärt werden sollte. Dazu wird dann auch zu allen Mitteln gegriffen, um den Helden ihre Berechtigung zu entziehen. Das Kinderbuch wurde also konzeptuell umgedreht bzw. ins Gegenteil verkehrt.
Beispiel: TKKG. Peter Carsten, genannt Tim/Tarzan. Heute wird seine "Gewaltbereitschaft" vielfach kritisiert. Er ist ein guter Judo-Kämpfer, später kommen noch andere Kampfsportarten hinzu, und er nutzt diese, um sich gegen Verbrecher zu verteidigen. Dabei hat er manchmal provozierende Sprüche auf den Lippen, besonders in späteren Folgen nach den Klassikern. Selbst in Podcasts, die sich mit TKKG beschäftigen, wird er oft dafür kritisiert. Andersherum gibt es einige Leute, die sich Tarzan als Vorbild genommen haben in ihrer Kinderzeit, als zwar unerreichbar perfekte, jedoch bewunderte Positivfigur, der man nacheifern kann. Genau das heute Kritisierte, also seine körperliche Verteidigungsfähigkeit, war nämlich der Aspekt, für den viele Kinder ihn bewundert haben. Auch seine moralischen Überzeugungen bzgl. gut und böse waren ein positiver Maßstab. Zudem wurde die in den Hörspielen durch Verkürzung oftmals etwas drastischer wirkende Gewaltbereitschaft deutlich kontextualisiert bzw. besser erklärt. Tarzan war also kein dumpfer Schläger, sondern eine charakterlich gut ausgearbeitete Figur. Die anscheinend sehr beliebt und erfolgreich war... denn die Serie hat sich sehr lange gehalten. Abseits heutiger kritischer Betrachtungen muss man einfach festhalten, dass Kinder starke Helden, die sich gegen Gangster behaupten können, mögen, dass sie keinerlei Bedenken bzgl. fiktiver "Kloppereien" entwickeln, wie ein Erwachsener und dass auch in einem Western beispielsweise gar nicht genug Bösewichte "abgeknallt" werden konnten, ohne dass jemand darin ein Problem gesehen hat. Sicher mag man das als Erwachsener kritisch hinterfragen... aber Kinder funktionieren so nicht und das ist auch gut so, denn sie sind eben Kinder; die mit Plastikpistolen Peng Peng spielen, den "Indianer" am "Marterpfahl" festbinden und dem Schulhofbully zumindest in einem Buch mal richtig eins auf den Deckel geben wollen. Enter Sozialpädagogik aka Kinder-brauchen-keine Fantasie: Heutzutage würde Tarzan sich eher von einem LKW überfahren lassen, als auch nur einmal die Stimme gegenüber einem Bösewicht zu erheben. Überspitzt formuliert. Welches Kind würde ihm da nacheifern wollen? Für was sollte er irgendein Vorbild sein? Für einen passiven Mann, der sich von allen herumschubsen lässt? Wird hier eine Geschichte erzählt? Oder predigt man Konformität im Gewand der Unterhaltung?
Beispiel: Fünf Freunde. George war stets eigensinnig und erfolgreich damit. Soweit mir bekannt ist, erfolgte innerhalb der Serie selbst auch keine allzu drastische Umdeutung des Charakters in späterer Zeit. Dafür allerdings in der Fanbasis. Georges eigensinniger Abenteuerdrang, durch den Probleme aufgedeckt und gelöst wurden, wird zunehmend kritischer betrachtet und ebenfalls manchmal als persönliches Charaktermanko gesehen. Und wenn dies nicht so ist, wird George, die als klassischer Tomboy angelegt war, zu einer Art Ikone der LGBTQ-Bewegung umgedeutet. Das mag für einzelne Leser ja durchaus einen Reiz haben, nimmt aber die ganze Grundidee der abenteuerlustigen Heldin aus dem Serienkonzept und deutet alles in eine identitätspolitische Selbstfindungsgeschichte um. Wenn man die anderen Serien von Enid Blyton betrachtet, dürfte der Fokus auch bei dieser Serie wohl eher NICHT auf so einem Aspekt gelegen haben. Gleichzeitig wird Anne als Typus der klassischen, unselbstständigen Hausfrau verschrien, der stark aus der Zeit gefallen sein soll. Wir haben hier also eine feministische Agenda als Maßstab einer sehr alten und sehr erfolgreichen Kinderbuchserie. Der gemeinsame Nenner ist wiederum: Die Figuren dürfen nicht mehr sein, was sie ursprünglich einmal waren, da das anscheinend nicht mehr "erträglich" ist. Oder anders gesagt: Die Figuren sind heute ihr eigenes Problem, keine Vorbilder mehr. Ein Julian kommt dabei noch ganz gut weg, weil er sowieso nie ganz im Vordergrund stand. Andererseits werden die "bösen Männer" und die "Schmuggler" heute dann teilweise eher als latent niedliche Randerscheinung betrachtet, denen man ja gar nicht ernsthaft das Handwerk legen muss. Das war zu Enid Blytons Zeiten mit vergifteten Hunden, körperlichen Züchtigungen, und lebensbedrohlichen Situationen durch Schusswaffen oder steigenden Fluten in einem Gefängnis noch ganz anders.
Die Frage ist also: Wollen wir keine Vorbildfiguren mehr? Ertragen wir keine "perfekten" Charaktere mehr, denen wir nacheifern können? Sind "wir" nur die Erwachsenen von heute? Sind Kinder der gleichen Meinung? Oder wären sie mit klassischen Heldenfiguren, wie sie schon seit Jahrtausenden erfolgreich verwendet werden (Homers Odyssee) weiterhin vollkommen zufrieden?
Darf ein Antagonist heute nicht mehr einfach "böse" sein, sondern muss immer ein Opfer seiner Umstände sein, dass man verstehen muss? Darf ein Kinderbuchheld nicht mehr das Recht haben, dem Antagonisten das Handwerk zu legen? Sind das Problem nun stets die Helden selbst?
Die Frage nach dem Zeitgeist taucht wieder auf. Ja, wir befinden uns eindeutig in einer Phase, in der diese Betrachtung aus irgendeinem Grund vorzuherrschen scheint. Wenn man allerdings die Geschichte betrachtet, ist dieser Zustand eine ziemliche Ausnahme. Da er aber aktuell ist, wohl auch "die eine und einzige Wahrheit"
Weg von philosophischen Betrachtungen: Ist euch das auch schonmal aufgefallen? Stört es euch? Habt ihr Beispiele dafür oder dagegen? Glaubt ihr, dass es so weitergehen wird oder dass sich daran wieder etwas ändert?
Mögt ihr Helden und Heldinnen oder nicht?