Komplexität und Spieldauer

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Öhrchen
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Komplexität und Spieldauer

Beitrag von Öhrchen »

Angestoßen durch ein Minninger- Interview (aus den wirklich hörens/lesenswerten Büchern von Rodenwald über den ???-Kosmos), in welchem selbiger prominente DDF-(Dialog)-Autor auf die Frage nach der deutlich gestiegenen Spieldauer der Hörspiele von über 60 Minuten erklärt, es liege an der Komplexität der Fälle:
Wer erinnert sich wie gut von euch ( ich mich offensichtlich nicht-daher der Thread) wie komplex sind die Fälle früher und heute (wobei wie immer die Frage zu stellen ist was bedeutete komplex? Viele falsche Fährten oder doch mehr)? Wie häufig kommen Folgen mit zwei Fällen vor- parallele Ermittlungen- ( ich erinnere mich an Poltergeist bspw.) wo kommt mal eine Folge mit der Ermittlung eines Falles aus?
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Perry Clifton
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Re: Komplexität und Spieldauer

Beitrag von Perry Clifton »

Also: die Aussage von Minninger ist so einfach Käse ;-)

Das Thema an sich aber recht komplex (da haben wir das Wort wieder) ...ozo...

Dann mal für Dummies (me included :::rbt::: ):

"komplex" und "kompliziert" sind zwei Seiten einer Medaille. Beides heißt, es steckt sehr viel drin. Aber während es bei "komplex" viele Einzelaspekte sind, die gut zuzsammenarbeiten, sind es bei "kompliziert" eher unpassende Teilstücke, die gegeneinander arbeiten.

Alte DDF-Bücher waren meist sehr komplex für Kinderbücher, aber selten kompliziert. Heutige DDF-Bücher sind oft sehr kompliziert, aber nur selten komplex. (Komplex hieße hier, von vorne bis hinten ist alles an Story durchgeplant, alle Hinweise passen zusammen, die Auflösung ist schlüssig und nicht aus dem Hut gezaubert). Kommt vor, aber meist sind es "falsche Fährten", endlose Schlussmonologe, in denen sich erst etwas ausgedacht und lang und breit zurecht erklärt wird, was man vorher gar nicht wissen konnte, Szenen ohne Zusammenhang und keine schlüssige Handlung.

So weit zu den Büchern. Dann kam Francis und hat aus Dramaturgiegründen sehr verdichtet und gekürzt. Die komplexen Vorlagen wurden dadurch meist noch komplexer als Hörspiel, funktionierten aber, weil sie dramaturgisch so gut waren, dass man sie so oft gehört hat, um sich weitere Zusammenhänge anhand von Details zu erschließen.

Manchmal waren die alten Hörspiele auch kompliziert; nicht immer waren die Kürzungen gelungen und die Handlung war manchmal schwer verständlich (Narbengesicht). Aber das war nicht die Regel.

Und heute? Gut, bei dem Versuch, so manches "komplizierte" Buch von heute runterbrechen zu müssen würde ich auch kapitulieren. Aber Minninger verdichtet einfach kaum. Er "übernimmt" vielmehr. Und so bleibt Kompliziertes kompliziert, und auch lang. Von Komplexität ist da bei den Umsetzungen wenig zu entdecken.

Gut, erst letztens beim Drehbuch der Täuschung z.B. wurde es ganz gut und sinnvoll gekürzt und somit auch etwas verdichtet.

Aber die Fälle heute komplexer? Nö. Eher ganz selten mal genauso komplex wie früher. Und kein Grund für 70 Minuten plus Hörspiele.
danielcc
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Re: Komplexität und Spieldauer

Beitrag von danielcc »

Das Problem ist vielleicht, dass jede Art von Fall so komplex ist, dass es für Herrn Minninger zu kompliziert ist, sinnvoll zu kürzen :-)

Also.. ich mag mich irren, aber allein vom Umfang sind die Romane heute nicht umfangreicher als damals oder? (mit damals meine ich wie immer die echten Klassiker).
Allerdings waren die Klassiker Bücher viel sauberer aufgebaut. Es gab oft ein Phänomen, welches sich drei mal wiederholte. Schon allein dadurch war dem Geschehen viel besser zu folgen.
Dann hatten die frühen Romane wohl viel weniger persönliches, pseudo-freundschaftliches Genecke und sonstiges Füllmaterial. Kurzum: Es wurde fast ausschließlich über den Fall geredet.

Der größte Unterschied ist aber wohl, dass HG Francis Talent hatte welches Minninger so vollkommen abgeht.
Bei HGF ist jeder Satz wie ein präzise geschossener Pfeil der genau ins Ziel trifft. Bei Minninger ist jeder Satz ein nicht enden wollendes, mäanderndes Konstrukt welches möglichst komplex daherkommen will.
HGF hatte verstanden, wer das Zielpublikum war, und wie wann diese die Hörspiele hören, und was es dafür braucht. Er hatte verstanden, dass die Phantasie von Kindern ANGEREGT werden muss, und sie dann alle Leerstellen ausfüllen kann. Minninger weiß nicht mal was Phantasie ist.
HGF's Skripte (und eben die Hörspiele) waren so kurz und knapp, dass man alles sofort verstehen konnte, und aufgrund der Knappheit immer wieder hören wollte/konnte.

Vom Aufbau her sind die heutigen Stories oft ganz wirr und anders als seinerzeit. Anstatt klare Motive die sich wiederholen (A1-A2-A-Auflösung), geht es heute eher so: A-B-C-A-D-E-Auflösung Z. Dem kann man unmöglich beim ersten Male folgen (und man möchte auch gar nicht mehr reinhören.
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Jamie Allison
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Re: Komplexität und Spieldauer

Beitrag von Jamie Allison »

Also, dass der heutige reine Textumfang schuld sein soll, ist ja schon mal Kappes. :-D HGF musste mit Vorlagen mit wesentlich (!) höherem Word Count hantieren, als es Minninger heute muss. Allein schon, weil die Originale noch keine Seitenzahlbegrenzung hatten, an die man sich auf Teufel-komm-raus hätte halten müssen.

Und beschwert sich da ernsthaft der Mann, der aus zwei TKKG-Büchern mit mehreren parallelen Handlungssträngen zwei immerhin noch recht gut hör- und problemlos verfolgbare Hörspiele gemacht hat, ganz zu schweigen von den Umsetzungen der teils ziemlich wuseligen BJHW-Vorlagen bei DDF zur selben Zeit, über zuviel Komplexität? Kommt, ihr habt doch irgendwann nach 1995 heimlich den Minninger ausgetauscht, erzählt mir nix! ;-)

Wenn, wäre es der Aufbau der Geschichten. Auch in diesem Punkt waren die Classics komplexer (weshalb man hierzulande mitdachte und für weniger geübte Leser halt die Fingerzeige dazuerfand), aber eben nicht kompliziert, da alles nachvollziehbar blieb. Das half HGF dabei, alles so weit herunterzubrechen, dass er einen Vierzigminüter draus machen konnte; sicherlich nicht immer mit dem gewünschten Erfolg, gerade wenn die Vorlage das so nicht hergab, und weiß Gott nicht immer, ohne die Logik dabei auf der Strecke zu lassen, aber immer mit einem Geschick, das dies wieder ausbügeln konnte, und wo noch Lücken waren, besorgte das eben die Phantasie.

Wir können also für die Classics festhalten:
1) Phänomene wiederholten sich oft dreimal, etwa der lachende Schatten oder der tanzende Teufel. Leser wie DDF konnten so überlegen, welche Hinweise dabei zutage kamen, in welchen Situationen und unter welchen spezifischen Gegebenheiten die Phänomene jeweils auftraten, etc., und am Ende fügte sich alles perfekt zusammen.
2) Nichts passierte ohne Grund. Wenn etwas erwähnt wurde, spielte es auch eine Rolle. So war es, auch teils mithilfe der Hitchcock-Hints, theoretisch möglich, auf den Täter und dessen Motiv zu kommen, und wem das nicht gelang, bekam von Justus am Ende die Lösung serviert und wurde bis dahin immer noch super unterhalten.

Und da haben wir schon den Kasus knacktus. Wenn, wie so oft, ewig lange nur Belanglosigkeiten ausgetauscht werden, es am Ende einmal richtigen Budenzauber gibt, der Täter drei Seiten vor dem Showdown überhaupt erstmals namentlich bekannt ist, am besten noch mittendrin ein Cliffhanger ist und wir eine Seite weiter bei Kirschkuchen auf der Veranda sitzen und uns den spannendsten Teil nacherzählen lassen, spricht das weder für das Buch, noch dafür, dass selbst wenn HGF noch da wäre, ein gutes DDF-Hörspiel dabei herauskommen könnte. Das heißt natürlich nicht, dass das heute der Regelfall ist, aber eine Ausnahme ist es jetzt auch nicht gerade. ;-)
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Re: Komplexität und Spieldauer

Beitrag von Öhrchen »

Kann jemand ein Beispiel sagen, wie sich ein Phänomen drei mal wiederholt? Klingt irgendwie schulisch,aber gut :-D
danielcc
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Re: Komplexität und Spieldauer

Beitrag von danielcc »

Öhrchen hat geschrieben: Di 12. Nov 2024, 15:39 Kann jemand ein Beispiel sagen, wie sich ein Phänomen drei mal wiederholt? Klingt irgendwie schulisch,aber gut :-D
Das ist für mich DAS Merkmal der Klassiker (es ist dabei egal ob es 2 oder 3 oder 4 mal ist):

- Gespensterschloss: Die Fragezeichen gehen 3 mal ins Schloss. Beim ersten Mal ist alles neu und besonders gruselig, beim zweiten Mal trauen sie sich weiter, beim dritten Mal schaffen sie es bis zur Lösung

- unheimliche Drache: DDF trauen sich 3 mal runter an den Strand/die Höhlen. Jedes Mal kommen sie der Lösung um den Drachen näher

- Der rätselhafte Geist: Auch hier taucht das "Phänomen" mehrmals auf

- Das Bergmonster: auch hier taucht das titelgebende Phänomen mehrmals auf, von besonders vage und mysteriös wird es immer konkreter

- der Teufelsberg: Hier ist es offensichtlich; der Berg bzw das Stönen taucht auch etwa drei mal auf und DDF nähern sich immer weiter der Lösung des Phänomens an

Ebenfalls passende Beispiele: singende Schlange, Silbermine, Ameisenmensch, tanzende Teufel
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Re: Komplexität und Spieldauer

Beitrag von Stielke »

danielcc hat geschrieben: Di 12. Nov 2024, 17:44 Das ist für mich DAS Merkmal der Klassiker (es ist dabei egal ob es 2 oder 3 oder 4 mal ist):
Stimmt. Das Thema habe ich auch gerade in „Probleme der heutigen Serienphase“ angeschnitten. Das fällt mir immer wieder auf: Die alten Folgen sind im Vergleich nur halb so lang. Bei TKKG ist das beispielsweise aber genauso. Das ist mir gestern noch aufgefallen. Da dauern die Klassiker auch gefühlt nur halb so lange wie die aktuellen Folgen. Ich meine, früher waren die auf eine Kassettenlänge beschränkt, heute muss man sich da kaum mehr Mühe geben, das passt mehr drauf. Aber ob das der Grund ist? Man hat sich durch die mögliche Spiellänge verleiten lassen, die eigentlichen Geschichten mit Nebenstorys vollzupacken. Bei DDF und TKKG wirkt das ja fast so. Bei den 5 Freunden wird die mögliche Extrazeit eher durch den Versuch genutzt, lehrreiche Dinge mit in den Hörspielen zu transportieren. Das ist dann genau so nervig (finde ich), aber wenigstens für die Kids sinnvoll.
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